Ein Abend bei der AfD
Eindrücke von einer Wahlkampfveranstaltung des Landrats-Kandidaten Walter Wissenbach - Von Jürgen Dick
(Main-Kinzig-Kreis/jgd) - Der Steinheimer Rechtsanwalt und AfD-Kandidat auf den Landratsposten,Walter Wissenbach, stellt sich in diesen Wochen der Öffentlichkeit vor. Seine Partei hatte zur Wahlveranstaltung nach Erlensee geladen, die in einem Privatraum am Rande der aufstrebenden, nahe Hanau gelegenen Kommune stattfand.
Die private "Location" war ein Notquartier. Üblicherweise nutzen Spitzenkandidaten für derartige Veranstaltungen die offiziellen Bühnen - Bürgerhäuser, Mehrzweckhallen, Gaststätten oder auch bekannte Vereinslokale. Der AfD fällt die Buchung solcher Lokalitäten aber anscheinend schwer. Kurz zuvor, so hieß es, hatte ihr ein Maintaler Wirt die bereits gegebene Zusage für den Veranstaltungsabend wieder entzogen. Deshalb gab ein Erlenseer Parteifreund sein Hinterhaus für den Veranstaltungsabend frei. Die AfD werde behindert, stehe im Grunde in einem Bergaufkampf gegen die "etablierte Politik". Es werde versucht, die Zusammenkünfte und den offenbar unaufhaltsamen Aufstieg der einzig wahren Volkesfreunde zu be- und verhindern, wo es nur gehe. Der Kreisvorsitzende Dr. Wolfram Maaß spielte diesen Ball gleich zu Beginn des Abends ins Feld. Und wie zur Illustration der Opferstory bestellt, hatte sich vor dem Veranstaltungsort eine von den Erlenseer Grünen einberufene kleine Demo eingefunden - friedlich, aber eben mit einigen kritischen Spruchtafeln unübersehbar präsent ("Populismus ist keine Lösung").
Nostalgie und Neuromantik
Die AfD-Anhängergemeinschaft unter den 40 bis 50 Besuchern schweisste solches Wissen automatisch zusammen. Mögen dort draußen das Merkel-Chaos und der Feminismus das Volk und die Menschheit heimsuchen, so sorgen wenigstens wir hier drinnen heute, für einen Abend lang, für Linie, Ordnung und Meinungsfreiheit - solche Selbstgewissheit schwebt wohl über den meisten AfD-Zusammenkünften wie der Geist über den Wassern. So entsteht Identität.
Die Wahl des Veranstaltungsortes erwies sich insofern auch wieder als Glücksfall für die AfD. Der Besitzer, ein älterer, freundlicher Herr im gesetzten Alter, hat sein schmuckes Hinterhaus im Stil eines Tanzcafés der 20er Jahre ausgestattet - die AfD-Anhängerschaft fand sich also in einem rundum mit neuromantisch inspirierten Gemälden, antiken Nussknackern und bemalten Ziertellern ausgeschmückten Wohnzimmer wieder. Güldene Bilderrahmen und anheimelnde Patina, so wie in Uromas guter Stube, wo früher das Landschaftsbild über dem Sofa der Blickfang war. Hätte noch jemand die warme Kartoffelsuppe mit Wursteinlage serviert - der heimatliche Abend wäre perfekt gewesen. Die gute, gemütliche alte Zeit. Vielleicht versteht, wer diesen Abend in dieser einzigartigen Umgebung besuchte, die AfD-Anhänger besser, als es hundert Parteitagsreden und Frauke-Petry-Twitterpostings je vermitteln könnten.
Der frühe Rebell
Die Wahlveranstaltung bestand aus drei Tagesordnungspunkten: Punkt Null war die Einführungsrede des AfD-Kreisvorsitzenden Dr. Wolfram Maaß, Punkt Eins die Wahlkampfrede des Landratskandidaten Walter Wissenbach, letzter Punkt dann die Diskussion mit recht vielen Beiträgen aus dem Publikum.
In seiner Einführungsrede verstieg sich der Kreisvorsitzende Maaß, angesichts des Berlin-Anschlags zwei Abende zuvor, gleich mal in die düstere Ankündigung, dass "die Verantwortlichen", im Speziellen "Frau Merkel", zur "Verantwortung gezogen" werden müssten. Wie genau das zu geschehen habe, wurde auf Nachfrage eines Besuchers aber nicht näher erläutert.
Sodann ergriff Kandidat Walter Wissenbach das Wort. Er stellte sich als geistig eloquenter Mann vor, vermittelte von sich das Bild eines besorgten, fachkundigen und wachen Bürgers und Rechtsanwaltes in seinen besten Jahren. Schon in seiner Jugend habe er als Wehrdienstverweigerer nicht eingesehen, "mir sagen zu lassen, wer meine Feinde zu sein haben", und habe den Zivildienst in einem Altenheim vorgezogen. Ein Pazifist aus Überzeugung sei er dennoch schon damals nicht gewesen - der spätere Jurist hatte wahrscheinlich das Prinzip der damaligen KDV-Verfahren verstanden. In denen kam es nämlich nicht darauf an, die "richtige" Antwort auf Zwickmühlenfragen zu geben ("Würden Sie Gewalt anwenden, wenn jemand Ihre Freundin bedroht?"). Sondern man musste glaubhaft machen, dass man im Falle des Waffeneinsatzes der persönlich-seelischen Belastung nicht gewachsen wäre. So jemand stellte ja im Ernstfall ein Risiko für die Truppe dar.
Die Hobbys des frühen Rebellen: Motorradfahren ("komme auch im östlichen Main-Kinzig-Kreis rum"), Sprache (dito: Rechtsanwalt) und Burgen. Burgen. Das Wort habe mit Geborgenheit zu tun, und darum gehe es ja im Grunde: Treffer beim Publikum. Seinen Beruf als Rechtsanwalt übe der Fachmann in Immobilienfragen übrigens nicht als der im Volksmund gängige "Rechtsverdreher" aus, sondern betreibe seinen Job aus Überzeugung.
Den Weg zur AfD habe er über das Euro-Thema gefunden. Wissenbach outete sich somit als einer der frühen AfD-Mitgründer noch aus der Lucke-Zeit, und erwähnte auch stolz sein Mitwirken beim jüngsten Parteitag in Stuttgart, wo die neueste Version des Parteiprogramms der AfD entstanden sei. Überhaupt seien viele gängig negative Aussagen über die AfD nicht wahr, etwa die, dass in der AfD "Nazis" aktiv seien. Vielmehr gebe es eine Unvereinbarkeitsliste, die es früheren Mitgliedern rechtsextremer Parteien schwer mache, überhaupt in die AfD einzutreten.
Im Main-Kinzig- Kreis habe die AfD bei der Kommunalwahl das drittbeste Ergebnis in ganz Hessen eingefahren. Deswegen rechnet sich Wissenbach reale Chancen aus, den Landratsposten bei der Wahl im März zu gewinnen. Und ganz klar gehe es dabei gegen die Politik der etablierten Parteien, die allesamt die Wähler und Bürger aus dem Auge verloren hätten. Er, Wissenbach, werde das ändern. Zum Beispiel durch die Einrichtung einer Bürgersprechstunde. Er sei sich im Übrigen bewusst, dass ein Landrat überparteilich zu agieren habe -letztlich geht es ja bloß um die Wahl des Chefs einer Verwaltung-, aber das AfD-Programm werde ihm dennoch Leitlinie für die Arbeit in dem Amt sein.
Kampf gegen Windmühlen
Wie steht es also mit den konkreten Absichten, der konkreten Politik, die ein AfD-Mann im Landratsamt umsetzen würde? Der Kandidat verblieb dazu insgesamt vage. Ein Landrat müsse dafür sorgen, dass "die Wirtschaft brummt", so war etwa zu hören. Technik und Investitionen müssten her - insbesondere den Ausbau des Glasfasernetzes, eigentlich eine auf Ewigkeit mit dem Wirken und Werk des Landrats Pipa verknüpfte Errungenschaft, lobte der AfD-Kandidat über den grünen Klee ("bin ein Technikfreak") und versuchte damit ein bisschen, in die Fußstapfen des scheidenden Landrates zu steigen.
Die Begeisterung für die Technik hört dann allerdings bei den Windrädern schon wieder auf. Den Landkreis mit "bis zu 260 Meter hohen" Windmühlen zuzubauen, kommen für ihn nicht in Frage. Zumal das Gewinnen von Strom mit dieser Technik hier im Kreis unwirtschaftlich sei, und nur durch Subventionen funktioniere. Kernkraft als Alternative? Aus der wurde jedenfalls zu früh ausgestiegen, so Wissenbach. Er selbst ist beim Thema allerdings sowieso schon weiter: Die Forschungsmilliarden sollte man lieber in die Fusionsreaktortechnik hineinstecken. Wenn diese Technik erst irgendwann komme, seien die Energieprobleme gelöst. Bis dahin wird man, geht es nach dem AfD-Mann, noch ein bisschen länger mit Öl, Gas und Kohle haushalten müssen.
Wie steht es mit den Frauen? Frauen sind in der AfD irgendwie immer ein Thema, sind als Thema sozusagen omnipräsent, zum Beispiel, wenn es um Bekenntnisse zur Familienpolitik und um den Kampf gegen "Gender" geht. Außerdem gibt es ja auch im Vorsitz mit Frauke Petry eine prominente Frau. Zugleich sind Frauen in der AfD aber auch Mangelware. Unter den AfD-Mitgliedern gibt es einen unübersehbar starken Männer-Überhang. Trotzdem kümmert sich die AfD natürlich um die Frauen: Diese sollten sich zum Beispiel nicht mehr "schämen müssen" dafür, die Kinder zu Hause zu erziehen, so Kandidat Wissenbach. Auf diese Aussage setzte es den vielleicht stärksten Beifall des Abends unter den mehrheitlich männlichen Besuchern (der Verfasser dieser Zeilen zählte unter diesen fünf Frauen; die Besucherinnenquote von um die 10% dürfte in etwa auch dem bundesweiten Frauenanteil in der Partei entsprechen, jedenfalls, wenn man gewillt ist, der "Pinocchiopresse" Glauben zu schenken). Ob sich aus dem AfD-Frauenrechtekampf etwas für die praktische Landrats- und Kreispolitik gewinnen lässt, wurde allerdings an dem Abend nicht recht klar.
Kreisumlage, Milch und Flüchtlinge
Konkret zur Kreispolitik führte Kandidat Wissenbach immerhin einen jüngst errungenen Erfolg seiner Main-Kinzig-AfD an. Die AfD hat jüngst im Kreistag zur Bildung einer Mehrheit gegen die Erhöhung der Kreisumlage beigetragen. Das war in der Tat ein meßbarer, erwiesener Erfolg seiner Fraktion, den Wissenbach allerdings seltsam unterbelichtet ließ. Denn die allgegenwärtige Unzufriedenheit vieler Kommunen mit der fast jedes Jahr steigenden Kreisumlage könnte ja in der Tat ein Exerzierfeld für eine Protestpartei sein. Auch wenn die Landkreise mit dem Geld natürlich Sinnvolles anfangen - sie erneuern damit zum Beispiel Straßen und Schulen. Die AfD-Kritik an den Kreisfinanzen schlägt aber einen weiteren Haken: Landrat Pipa wolle den Kommunen 2,5 Millionen zusätzlich abnehmen, zahle ihnen allerdings 3,3 Millionen für die Flüchtlingsarbeit aus. Das sei eine widersprüchliche Politik, so Wissenbach.
In der späteren Diskussion ergab sich noch ein interessanter Disput über die gefallenen Milchpreise, die vor allem den kleinen und mittelgroßen Bauernhöfen im Kreis zu schaffen machen. Deren Höfe werden unrentabel, wenn sie sich nicht umstellen. Wissenbach blieb hierbei hart: Sprach sich also gegen eine Subventionierung des Milchpreises aus. Der Preis müsse sich am Markt regeln. Hilfe für die Bauern müsse sich über eine "Stärkung der regionalen Landwirtschaft" einstellen, die naturnah und "bio" produzieren und so ihre Produkte interessant machen könnten. Der frühe Wehrdienstverweigerer: er war vielleicht sogar in jüngeren Jahren ganz und gar ein Wähler der Grünen, mochte man da erahnen.
Diskussionskultur und Nostalgie
Überhaupt, die Diskussionsrunde am Schluss: Wer die miterlebt hat, mochte sich an die früheren politischen Diskussionen während der Zeit der Gründung der Grünen erinnert haben. Oder an die Jahre Willy Brandts, als der seinen legendären Wahlkampf für ein "modernes Deutschland" führte. Zwar hinken solche Vergleiche. Das Publikum war damals zum Beispiel wesentlich jünger, und, es sei auch hier vermerkt: es war damals auch der Frauenanteil in den Diskussionen wesentlich höher. Und das waren übrigens auch damals schon Zeiten, in denen NPD oder "Republikaner" 10% Stimmenanteile einheimsten. Aber der Hinweis war jetzt vielleicht ein bisschen ungerecht.
Wie auch immer: An diesem Erlenseer AfD-Abend wurde in der Tat noch lange kontrovers und engagiert diskutiert. Kritische Frager -es waren einige da- wurden fair behandelt. Unter den Besuchern gab es auch gut informierte Leute. Eine (Frau!) stellte etwa einige oberflächliche Aussagen des Kandidaten zur Lage der Bauern im Kreis richtig, und war dabei um Kenntnisse, Zahlen und Fakten nicht verlegen. So jemanden müsste sich jede andere Partei für die eigene Mitgliedschaft wünschen. Es war also ein bisschen von der alten, politischen, kontroversen, inzwischen irgendwie verschütt gegangenen Diskussionslust zu spüren, wenn auch diese Atmosphäre leider überlagert war vom AfD-typischen Kultur- und Gesellschaftspessimismus: Es gehe halt unter den "Etablierten" alles den Bach runter, das Geld werde verschleudert, die Deutschen stünden überall hintenan, das schöne alte dreigliedrige Schulsystem werde kaputtgemacht, warum gibt es Samstags keine Schule mehr, undsoweiter. AfD-Anhängern haftet in gewisser Weise etwas Verzweifeltes an. Ihr politischer Kampf dreht sich wohl nicht zuletzt auch um die Bewahrung eines nostalgischen Gefühlszustandes, den man sich nicht absprechen lassen möchte.
*
Epilog
Von den schönen Tanzcafés in der Region schließe ja leider eines nach dem anderen die Pforten, hatte der Besitzer des stilvoll geschmückten Veranstaltungsraumes mir gegenüber in einem zwanglosen Plausch beklagt, vor Beginn der Veranstaltung. Er selbst lade deswegen schon seit längerer Zeit regelmäßig Freunde und Bekannte zum Tanzen ein, in seine eigenen, so durchaus hübsch nostalgisch geschmückten Räumlichkeiten. Dieses sein Angebot werde prächtig angenommen und habe sich zu einem festen Termin ausgewachsen, versicherte er mir mit leuchtenden Augen. - JD
(Main-Kinzig-Kreis/jgd) - Der Steinheimer Rechtsanwalt und AfD-Kandidat auf den Landratsposten,Walter Wissenbach, stellt sich in diesen Wochen der Öffentlichkeit vor. Seine Partei hatte zur Wahlveranstaltung nach Erlensee geladen, die in einem Privatraum am Rande der aufstrebenden, nahe Hanau gelegenen Kommune stattfand.
Die private "Location" war ein Notquartier. Üblicherweise nutzen Spitzenkandidaten für derartige Veranstaltungen die offiziellen Bühnen - Bürgerhäuser, Mehrzweckhallen, Gaststätten oder auch bekannte Vereinslokale. Der AfD fällt die Buchung solcher Lokalitäten aber anscheinend schwer. Kurz zuvor, so hieß es, hatte ihr ein Maintaler Wirt die bereits gegebene Zusage für den Veranstaltungsabend wieder entzogen. Deshalb gab ein Erlenseer Parteifreund sein Hinterhaus für den Veranstaltungsabend frei. Die AfD werde behindert, stehe im Grunde in einem Bergaufkampf gegen die "etablierte Politik". Es werde versucht, die Zusammenkünfte und den offenbar unaufhaltsamen Aufstieg der einzig wahren Volkesfreunde zu be- und verhindern, wo es nur gehe. Der Kreisvorsitzende Dr. Wolfram Maaß spielte diesen Ball gleich zu Beginn des Abends ins Feld. Und wie zur Illustration der Opferstory bestellt, hatte sich vor dem Veranstaltungsort eine von den Erlenseer Grünen einberufene kleine Demo eingefunden - friedlich, aber eben mit einigen kritischen Spruchtafeln unübersehbar präsent ("Populismus ist keine Lösung").
Nostalgie und Neuromantik
Die AfD-Anhängergemeinschaft unter den 40 bis 50 Besuchern schweisste solches Wissen automatisch zusammen. Mögen dort draußen das Merkel-Chaos und der Feminismus das Volk und die Menschheit heimsuchen, so sorgen wenigstens wir hier drinnen heute, für einen Abend lang, für Linie, Ordnung und Meinungsfreiheit - solche Selbstgewissheit schwebt wohl über den meisten AfD-Zusammenkünften wie der Geist über den Wassern. So entsteht Identität.
Die Wahl des Veranstaltungsortes erwies sich insofern auch wieder als Glücksfall für die AfD. Der Besitzer, ein älterer, freundlicher Herr im gesetzten Alter, hat sein schmuckes Hinterhaus im Stil eines Tanzcafés der 20er Jahre ausgestattet - die AfD-Anhängerschaft fand sich also in einem rundum mit neuromantisch inspirierten Gemälden, antiken Nussknackern und bemalten Ziertellern ausgeschmückten Wohnzimmer wieder. Güldene Bilderrahmen und anheimelnde Patina, so wie in Uromas guter Stube, wo früher das Landschaftsbild über dem Sofa der Blickfang war. Hätte noch jemand die warme Kartoffelsuppe mit Wursteinlage serviert - der heimatliche Abend wäre perfekt gewesen. Die gute, gemütliche alte Zeit. Vielleicht versteht, wer diesen Abend in dieser einzigartigen Umgebung besuchte, die AfD-Anhänger besser, als es hundert Parteitagsreden und Frauke-Petry-Twitterpostings je vermitteln könnten.
Der frühe Rebell
Die Wahlveranstaltung bestand aus drei Tagesordnungspunkten: Punkt Null war die Einführungsrede des AfD-Kreisvorsitzenden Dr. Wolfram Maaß, Punkt Eins die Wahlkampfrede des Landratskandidaten Walter Wissenbach, letzter Punkt dann die Diskussion mit recht vielen Beiträgen aus dem Publikum.
In seiner Einführungsrede verstieg sich der Kreisvorsitzende Maaß, angesichts des Berlin-Anschlags zwei Abende zuvor, gleich mal in die düstere Ankündigung, dass "die Verantwortlichen", im Speziellen "Frau Merkel", zur "Verantwortung gezogen" werden müssten. Wie genau das zu geschehen habe, wurde auf Nachfrage eines Besuchers aber nicht näher erläutert.
Sodann ergriff Kandidat Walter Wissenbach das Wort. Er stellte sich als geistig eloquenter Mann vor, vermittelte von sich das Bild eines besorgten, fachkundigen und wachen Bürgers und Rechtsanwaltes in seinen besten Jahren. Schon in seiner Jugend habe er als Wehrdienstverweigerer nicht eingesehen, "mir sagen zu lassen, wer meine Feinde zu sein haben", und habe den Zivildienst in einem Altenheim vorgezogen. Ein Pazifist aus Überzeugung sei er dennoch schon damals nicht gewesen - der spätere Jurist hatte wahrscheinlich das Prinzip der damaligen KDV-Verfahren verstanden. In denen kam es nämlich nicht darauf an, die "richtige" Antwort auf Zwickmühlenfragen zu geben ("Würden Sie Gewalt anwenden, wenn jemand Ihre Freundin bedroht?"). Sondern man musste glaubhaft machen, dass man im Falle des Waffeneinsatzes der persönlich-seelischen Belastung nicht gewachsen wäre. So jemand stellte ja im Ernstfall ein Risiko für die Truppe dar.
Die Hobbys des frühen Rebellen: Motorradfahren ("komme auch im östlichen Main-Kinzig-Kreis rum"), Sprache (dito: Rechtsanwalt) und Burgen. Burgen. Das Wort habe mit Geborgenheit zu tun, und darum gehe es ja im Grunde: Treffer beim Publikum. Seinen Beruf als Rechtsanwalt übe der Fachmann in Immobilienfragen übrigens nicht als der im Volksmund gängige "Rechtsverdreher" aus, sondern betreibe seinen Job aus Überzeugung.
Den Weg zur AfD habe er über das Euro-Thema gefunden. Wissenbach outete sich somit als einer der frühen AfD-Mitgründer noch aus der Lucke-Zeit, und erwähnte auch stolz sein Mitwirken beim jüngsten Parteitag in Stuttgart, wo die neueste Version des Parteiprogramms der AfD entstanden sei. Überhaupt seien viele gängig negative Aussagen über die AfD nicht wahr, etwa die, dass in der AfD "Nazis" aktiv seien. Vielmehr gebe es eine Unvereinbarkeitsliste, die es früheren Mitgliedern rechtsextremer Parteien schwer mache, überhaupt in die AfD einzutreten.
Im Main-Kinzig- Kreis habe die AfD bei der Kommunalwahl das drittbeste Ergebnis in ganz Hessen eingefahren. Deswegen rechnet sich Wissenbach reale Chancen aus, den Landratsposten bei der Wahl im März zu gewinnen. Und ganz klar gehe es dabei gegen die Politik der etablierten Parteien, die allesamt die Wähler und Bürger aus dem Auge verloren hätten. Er, Wissenbach, werde das ändern. Zum Beispiel durch die Einrichtung einer Bürgersprechstunde. Er sei sich im Übrigen bewusst, dass ein Landrat überparteilich zu agieren habe -letztlich geht es ja bloß um die Wahl des Chefs einer Verwaltung-, aber das AfD-Programm werde ihm dennoch Leitlinie für die Arbeit in dem Amt sein.
Kampf gegen Windmühlen
Wie steht es also mit den konkreten Absichten, der konkreten Politik, die ein AfD-Mann im Landratsamt umsetzen würde? Der Kandidat verblieb dazu insgesamt vage. Ein Landrat müsse dafür sorgen, dass "die Wirtschaft brummt", so war etwa zu hören. Technik und Investitionen müssten her - insbesondere den Ausbau des Glasfasernetzes, eigentlich eine auf Ewigkeit mit dem Wirken und Werk des Landrats Pipa verknüpfte Errungenschaft, lobte der AfD-Kandidat über den grünen Klee ("bin ein Technikfreak") und versuchte damit ein bisschen, in die Fußstapfen des scheidenden Landrates zu steigen.
Die Begeisterung für die Technik hört dann allerdings bei den Windrädern schon wieder auf. Den Landkreis mit "bis zu 260 Meter hohen" Windmühlen zuzubauen, kommen für ihn nicht in Frage. Zumal das Gewinnen von Strom mit dieser Technik hier im Kreis unwirtschaftlich sei, und nur durch Subventionen funktioniere. Kernkraft als Alternative? Aus der wurde jedenfalls zu früh ausgestiegen, so Wissenbach. Er selbst ist beim Thema allerdings sowieso schon weiter: Die Forschungsmilliarden sollte man lieber in die Fusionsreaktortechnik hineinstecken. Wenn diese Technik erst irgendwann komme, seien die Energieprobleme gelöst. Bis dahin wird man, geht es nach dem AfD-Mann, noch ein bisschen länger mit Öl, Gas und Kohle haushalten müssen.
Wie steht es mit den Frauen? Frauen sind in der AfD irgendwie immer ein Thema, sind als Thema sozusagen omnipräsent, zum Beispiel, wenn es um Bekenntnisse zur Familienpolitik und um den Kampf gegen "Gender" geht. Außerdem gibt es ja auch im Vorsitz mit Frauke Petry eine prominente Frau. Zugleich sind Frauen in der AfD aber auch Mangelware. Unter den AfD-Mitgliedern gibt es einen unübersehbar starken Männer-Überhang. Trotzdem kümmert sich die AfD natürlich um die Frauen: Diese sollten sich zum Beispiel nicht mehr "schämen müssen" dafür, die Kinder zu Hause zu erziehen, so Kandidat Wissenbach. Auf diese Aussage setzte es den vielleicht stärksten Beifall des Abends unter den mehrheitlich männlichen Besuchern (der Verfasser dieser Zeilen zählte unter diesen fünf Frauen; die Besucherinnenquote von um die 10% dürfte in etwa auch dem bundesweiten Frauenanteil in der Partei entsprechen, jedenfalls, wenn man gewillt ist, der "Pinocchiopresse" Glauben zu schenken). Ob sich aus dem AfD-Frauenrechtekampf etwas für die praktische Landrats- und Kreispolitik gewinnen lässt, wurde allerdings an dem Abend nicht recht klar.
Kreisumlage, Milch und Flüchtlinge
Konkret zur Kreispolitik führte Kandidat Wissenbach immerhin einen jüngst errungenen Erfolg seiner Main-Kinzig-AfD an. Die AfD hat jüngst im Kreistag zur Bildung einer Mehrheit gegen die Erhöhung der Kreisumlage beigetragen. Das war in der Tat ein meßbarer, erwiesener Erfolg seiner Fraktion, den Wissenbach allerdings seltsam unterbelichtet ließ. Denn die allgegenwärtige Unzufriedenheit vieler Kommunen mit der fast jedes Jahr steigenden Kreisumlage könnte ja in der Tat ein Exerzierfeld für eine Protestpartei sein. Auch wenn die Landkreise mit dem Geld natürlich Sinnvolles anfangen - sie erneuern damit zum Beispiel Straßen und Schulen. Die AfD-Kritik an den Kreisfinanzen schlägt aber einen weiteren Haken: Landrat Pipa wolle den Kommunen 2,5 Millionen zusätzlich abnehmen, zahle ihnen allerdings 3,3 Millionen für die Flüchtlingsarbeit aus. Das sei eine widersprüchliche Politik, so Wissenbach.
In der späteren Diskussion ergab sich noch ein interessanter Disput über die gefallenen Milchpreise, die vor allem den kleinen und mittelgroßen Bauernhöfen im Kreis zu schaffen machen. Deren Höfe werden unrentabel, wenn sie sich nicht umstellen. Wissenbach blieb hierbei hart: Sprach sich also gegen eine Subventionierung des Milchpreises aus. Der Preis müsse sich am Markt regeln. Hilfe für die Bauern müsse sich über eine "Stärkung der regionalen Landwirtschaft" einstellen, die naturnah und "bio" produzieren und so ihre Produkte interessant machen könnten. Der frühe Wehrdienstverweigerer: er war vielleicht sogar in jüngeren Jahren ganz und gar ein Wähler der Grünen, mochte man da erahnen.
Diskussionskultur und Nostalgie
Überhaupt, die Diskussionsrunde am Schluss: Wer die miterlebt hat, mochte sich an die früheren politischen Diskussionen während der Zeit der Gründung der Grünen erinnert haben. Oder an die Jahre Willy Brandts, als der seinen legendären Wahlkampf für ein "modernes Deutschland" führte. Zwar hinken solche Vergleiche. Das Publikum war damals zum Beispiel wesentlich jünger, und, es sei auch hier vermerkt: es war damals auch der Frauenanteil in den Diskussionen wesentlich höher. Und das waren übrigens auch damals schon Zeiten, in denen NPD oder "Republikaner" 10% Stimmenanteile einheimsten. Aber der Hinweis war jetzt vielleicht ein bisschen ungerecht.
Wie auch immer: An diesem Erlenseer AfD-Abend wurde in der Tat noch lange kontrovers und engagiert diskutiert. Kritische Frager -es waren einige da- wurden fair behandelt. Unter den Besuchern gab es auch gut informierte Leute. Eine (Frau!) stellte etwa einige oberflächliche Aussagen des Kandidaten zur Lage der Bauern im Kreis richtig, und war dabei um Kenntnisse, Zahlen und Fakten nicht verlegen. So jemanden müsste sich jede andere Partei für die eigene Mitgliedschaft wünschen. Es war also ein bisschen von der alten, politischen, kontroversen, inzwischen irgendwie verschütt gegangenen Diskussionslust zu spüren, wenn auch diese Atmosphäre leider überlagert war vom AfD-typischen Kultur- und Gesellschaftspessimismus: Es gehe halt unter den "Etablierten" alles den Bach runter, das Geld werde verschleudert, die Deutschen stünden überall hintenan, das schöne alte dreigliedrige Schulsystem werde kaputtgemacht, warum gibt es Samstags keine Schule mehr, undsoweiter. AfD-Anhängern haftet in gewisser Weise etwas Verzweifeltes an. Ihr politischer Kampf dreht sich wohl nicht zuletzt auch um die Bewahrung eines nostalgischen Gefühlszustandes, den man sich nicht absprechen lassen möchte.
*
Epilog
Von den schönen Tanzcafés in der Region schließe ja leider eines nach dem anderen die Pforten, hatte der Besitzer des stilvoll geschmückten Veranstaltungsraumes mir gegenüber in einem zwanglosen Plausch beklagt, vor Beginn der Veranstaltung. Er selbst lade deswegen schon seit längerer Zeit regelmäßig Freunde und Bekannte zum Tanzen ein, in seine eigenen, so durchaus hübsch nostalgisch geschmückten Räumlichkeiten. Dieses sein Angebot werde prächtig angenommen und habe sich zu einem festen Termin ausgewachsen, versicherte er mir mit leuchtenden Augen. - JD
kewelforever - 2016/12/22 23:31