12
Apr
2012

Vom Anderssein in der feinen Gesellschaft

Bruchköbeler Theater Frischluft überzeugt mit „King Fisch“
Von Jürgen Dick

Bruchköbel – Der Theatergruppe Frischluft ist mit ihrer Adaption des Stückes „Yvonne, die Burgunderprinzessin“, das sie derzeit unter dem Titel „King Fisch“ aufführt, ein Glanzstück gelungen. Der Kulturverein „Wundertüte“ hatte ins Haus Shalom geladen, um das Stück noch einmal in Bruchköbel anzubieten.

Die Besucher erlebten eine eindrucksvolle Inszenierung der Bruchköbeler Theatergruppe. Unter der Regie von Claudia Selzer wird ein stil- und bühnenbildsicherer, kurzweiliger Theaterabend geboten. Die „Yvonne“ des polnischen Schriftstellers Witold Gombrowicz ist eine Frau aus einfachen Verhältnissen, die es infolge des Liebeswerbens des Prinzen Philipp (gespielt von Stefan Layer) in eine mittelalterlich-höfische, dekadente Gesellschaft verschlägt. Dort regiert König Ignaz (Stefan Jacobs) - dessen drastisch-irre Hybris innerhalb des pointiert gespielten höfischen Figurenkreises schon alleine das Eintrittsgeld wert ist.

Als Außenseiterin von niederem Range passt Yvonne (Beate Strutt) in keiner Weise in den Rahmen der feinen Gesellschaft hinein. Das Selbstverständnis des elitären Kreises ist erfüllt vom wahnhaft anmutenden Machtanspruch gegenüber dem Niederen, dem Fremden, dem Anderen. Des Prinzen Heiratsantrag an Yvonne geschieht folglich nicht aus Liebe, sondern ist eine Inbesitznahme. Jede Figur, die in diesem Stück lacht (es wird sehr viel gelacht), lacht zugleich aus, demütigt – das Lachen ist nicht Ausdruck unverstellter Freude, sondern ein Instrument der Macht. Wer anders ist und bleiben will, wird zum Ziel von Entwürdigung und Aggression. Und doch irritiert Integrationsverweigerin Yvonne die Hofgesellschaft. Denn niemand versteht die renitente Yvonne, die anders ist und anders bleiben will. Allesamt fangen sie an, absurde Vorstellungen in Yvonne hinein zu phantasieren: über deren vermeintliche hinterhältige Absichten und ihre angeblichen ruchhaften Intrigen.

Gombrowicz schrieb das Stück 1935. Heute sprechen Psychologen von Projektionen, wenn jemand im Anderen solche Eigenschaften zu entdecken glaubt, die eigentlich eigenen Vorstellungen entstammen. Yvonne verkörpert auf der Bühne nicht nur das Opfer (das schließlich von der höfischen Gemeinschaft umgebracht wird), sondern auch die fassungslose Beobachterin. Als Zuschauer übernimmt man streckenweise ihren Betrachtungswinkel auf eine irre gewordene Gesellschaft, die ihre eigene Existenz und Identität vermittels der Ausgrenzung Anderer, Fremder und Schwächerer rechtfertigt.

Gegenüber dem „Gewöhnlichen“, gegenüber Liebe und Arbeit hegen die Mitglieder einer solchen Gesellschaft nurmehr Verachtung und Ekel. Das Stück legt in faszinierender Weise offen, wie sich hinter dem Willen zur Demütigung Anderer letztlich die Verunsicherung und Schwäche der Mitglieder der Tätergesellschaft selbst verbergen. Es seziert in abgründige Tiefen hinein, in grotesker Zuspitzung, die Mechanismen, die zur Ausgrenzung von Menschen führen. In einer kurzen, genialen Szene wandelt der Hofstaat arrogant und hochnäsig zu klassischer Musik einher. Als die Musik fast unmerklich in moderne Popmusikklänge umschlägt, zu der dieselben naserümpfenden Figuren nun einen steifen Tanz aufführen, kann man für einen Moment den beängstigenden Grad der Gleichschaltung und Ausgrenzung begreifen, welcher auch heute den als „Pop“, „Mode“ und „Mainstream“ bekannten Massenphänomenen innewohnt.

Die Besucher erlebten ein zeitloses und dazu auch noch kurzweiliges Stück, das vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen über Integration z.B. in den schulischen Veranstaltungsplänen einen guten Platz verdient hätte.

(Archivtext. Veröffentlicht im "Bruchköbeler Kurier" vom 12.4.2012)

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