16
Jul
2020

Einstieg unter erschwerten Bedingungen

Sylvia Brauns erste 100 Tage

Bruchköbel – Für neue Staatenlenker und Minister gilt gemeinhin die 100-Tage-Schonfrist. So lange hält man sich mit Kritik an deren Arbeit zurück. Die ersten 100 Amtstage der neuen Bürgermeisterin Sylvia Braun sind um, und mehrere Medien zogen in den letzten Tagen eine positive Bilanz. Wir wagen darüber hinaus einen Ausblick auf die kommenden Herausforderungen.

Es war ein Amtsantritt in ungewöhnlicher Zeit. Abstandsregeln, Masken, KiTa-Schließungen - die neue Bürgermeisterin schwamm sofort im kalten Wasser der Coronakrise. Sie erledigte pragmatisch, was nötig ist. Dabei setzte sie in der Kommunikation neue Akzente. Die Homepage der Stadt wirkt inzwischen aktueller. Die Bürgermeisterin antwortet Bürgern, etwa auf Facebook, auch schon mal unverhofft direkt persönlich. Mit der Digitalisierung ihres Verwaltungsapparates will sie ernst machen; will den Bürgern das Rathaus (später: Stadthaus) auf diese Weise näher bringen. Fazit: Es war ein unaufgeregter, und gerade deswegen glaubhafter Einstieg ins Amt.

Was den Fortgang der Arbeiten am neuen Stadthaus betrifft, ist die Bürgermeisterin vor allem eine Zuschauende, auch wenn das andere Kommentatoren anders sehen mögen. Der Bauvertrag mit Festpreis ist eine fixe Größe. Die beauftragte Baufirma erledigt den Job zügig und nach Plan. Dabei sollte man tunlichst nicht mit spontanen Änderungswünschen stören. In einem Punkt immerhin hat die Bürgermeisterin energisch eingegriffen: Das Parlament hatte vor kurzem einen zusätzlichen Kostenblock von 500.000 Euro für E-Auto-Ladestationen in das Projekt hineinschreiben wollen. Aber es sorgte für Stirnrunzeln, dass Bruchköbeler Steuerzahler einigen Autofahrern und Stromverkäufern eine teure Tankstelle finanzieren sollen. Sylvia Braun ließ das Parlament den Antrag zurückziehen.

Die künftige Nutzung im Blick
Die Bürgermeisterin widmet sich jetzt der zukünftigen Nutzung des neuen Stadthauses, denkt etwa über Vermietung von Räumlichkeiten an externe Dienstleister nach. Das lässt aufhorchen. Schon früher waren die üppig geplanten Büroflächen kritisiert worden. Hier könnten also noch interessante Ideen aufkommen. Zugleich kann Sylvia Braun aber auch eine gewisse innerliche Distanz zum Projekt nicht verhehlen, wenn sie gelegentlich betont, dass sie es „so“ nicht gewollt habe – nämlich wegen der hohen Gesamtkosten, die sie zuletzt brutto auf 41,5 Millionen Euro bezifferte, nach Anrechnung von Einnahmen und Zuschüssen auf netto 34 Millionen. Allerdings stimmt die gerne aus der Politik erzählte Legende nicht, dass man diese Kosten nicht habe voraussehen können. Eine städtische Machbarkeitsstudie, rückblickend ein excellentes Papier, hatte schon 2010 aufgezeigt, dass ein vergleichbares Bauvolumen mit Tiefgarage die teuerste Variante darstellen würde - und schon damals die 40-Millionen-Marke gekratzt hätte. Die Stadtverordneten dürften also bei ihrem 2014er Projektbeschluss durchaus geahnt haben, welches Finanzvolumen sie da auf den Weg brachten. Nur wollte seinerzeit niemand in der Politik etwas von kleinlicher Rechnerei hören – ging es doch um Höheres, nämlich um die von allen Parteien gewünschte Einstimmigkeit beim Start in das Innenstadtabenteuer.

Altes Rathaus: Endlich Neustart?
Das stillgelegte Alte Rathaus im historischen Stadtkern liegt weiter im Dornröschenschlaf. Die Bürgermeisterin will das Problem jetzt angehen. Nach fast 15 Jahren hätte eine erfolgreiche Wiederbelebung dann jedenfalls ihren Stempel. Der Knackpunkt: Das Haus muss barrierefrei zugänglich gemacht werden. Gelingt das nicht, würde die geschätzte Million für die Totalsanierung letztlich nur zu einer unbefriedigenden Teilnutzung führen. Einen Aufzug ein- oder anzubauen, ist daher im Grunde zwingend. Denn was wäre die Alternative? Ein Verkauf des Gebäudes?

Und dann ist da das Parlament. Dessen Verhältnis zur neuen Amtsinhaberin ist noch nicht geklärt. Hier hat die CDU/SPD-Koalition eine rechnerische Mehrheit. Doch die ursprüngliche Mission der Koalition, die Entwicklung der Innenstadt nach Jahren der Debatten endlich aufs Gleis zu setzen, ist erfüllt. Beide Parteien stimmen inzwischen auch schon mal munter gegeneinander. Faktisch gibt es also ein Parlament mit fünf Parteien, aber ohne stabile Regierungsmehrheit. Keine Partei kann alleine etwas ausrichten. Die politische Rückenstärkung aus ihrer kleinen FDP-Fraktion hat dabei für die Bürgermeisterin ihre Grenzen, und sie wird auch den Eindruck vermeiden müssen, sie agiere als „FDP-Bürgermeisterin“. Selbst in einer Koalition aus drei Parteien unter Einschluss der FDP wäre die kleine Fraktion der Liberalen nur Juniorpartner. Insofern ist der für die Bürgermeisterin ideale Zustand im Parlament jetzt zunächst einmal derjenige einer Versammlung ohne eindeutige Koalitionsmehrheit. Unter diesen Bedingungen müssen alle Themen, müssen die politischen Zweckbündnisse immer wieder neu ausgelotet werden. Will heißen: Die Sacharbeit muss quasi automatisch in den Vordergrund treten.

Für die Bürgermeisterin ist der Zustand der wechselnden Mehrheiten dennoch auch eine Gratwanderung, gerade auch angesichts der kommenden Verhandlungen über den Haushalt 2021. Die werden sicherlich im Zeichen der Bewältigung der Coronakrise stehen. Das Geld wird knapp. Zu hoffen ist zwar auf finanzielle Unterstützung durch Bund und Land, ähnlich wie nach der 2009er Finanzkrise mit dem damaligen Konjnkturpaket, oder jüngst im Zuge der Teilentschuldung durch die „Hessenkasse“. Aber die Regeln für die Haushaltsführung sind für die Kommunen strenger geworden. Die kurzfristige Neuverschuldung über Kassenkredite wurde faktisch unterbunden. Man darf also gespannt sein, wie sich die neue Bürgermeisterin im Zuge der kommenden Haushaltsverhandlungen schlagen wird.

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