Risiko für Handynutzer?
Bruchköbel - Die Stadt Bruchköbel hat sich bekanntlich eine eigene, rund 35.000 Euro teure Mobilfunk-Standortplanung verliehen. Das Konzept soll die Strahlung der Mobilfunk-Antennen in den Wohngebieten begrenzen, indem die Antennen nach außerhalb der Stadtgrenze verbracht werden.
Manches aber spricht inzwischen dafür, dass im Übereifer der Mission, die Bürger vor der angeblich gefährlichen Strahlung der Mobilfunksender zu schützen, des Guten zuviel getan worden ist. Statt des erstrebten Schutzes vor Strahlung könnte sich nämlich ein gegenteiliger Effekt einstellen. Ein Gutachten, das schon 2004 für das Umweltamt Bayern erarbeitet worden ist, legt diesen Schluss nahe. Außerhalb der Stadt aufgestellte Funktürme könnten nämlich im Ort dazu führen, dass die Strahlenbelastung durch Handys ansteigt – und die wirkt direkt am Kopf der Handynutzer.
„Aufgrund der großen Entfernung zum Standort werden die Telefone regelmäßig mit höherer Sendeleistung senden, als es bei einem Netz aus nutzernahen Standorten der Fall ist“, so die Autoren des Gutachtens, die auch einen experimentellen Nachweis vorlegen.
Dazu hatte man die Sendeleistung eines Handys in einer Ortschaft gemessen, wo Mobilfunksender ausschließlich außerhalb der Wohngebiete stehen, so wie in Bruchköbel beabsichtigt. Dort ergaben sich deutlich höhere Strahlungswerte des Handys, verglichen mit einer Ortschaft, in der auch im Stadtgebiet ein Sender steht. Wenn nämlich das Handysignal schwach ist, also von weit her zum Sendemast kommt, dann teilt der Sendemast dem Handy auf elektronischem Weg mit: „Sende stärker!“ Das Handy regelt dann den Sendepegel nach oben.
Ein Fachmann versicherte dem BK, daß Handys dann um das bis zu 100-fache stärker auf den Kopf des Benutzers einstrahlen können. Betroffen sind dann vor allem die Bürger, für die das Handy zum Alltagsgegenstand geworden ist: Erwachsene, junge Leute, aber auch Schüler und Kinder halten heutzutage mehrmals am Tag das Handy ans Ohr.
Eine international angelegte wissenschaftliche Studie mit Namen „Interphone“ erforscht derzeit, ob durch Handys gesundheitsschädliche Einwirkungen auf langjährige Nutzer stattfinden können. Abschließende Ergebnisse liegen noch nicht vor, aber Betrachtungen der Langzeitnutzung führten zuletzt zu Vermutungen, dass es sogar ein Langzeit-Tumorrisiko geben könnte. Und es gibt schon seit längerer Zeit Verhaltensempfehlungen an die Handy-Benutzer, den Gebrauch der Mobiltelefone möglichst zu begrenzen.
Inwieweit die Stadt ihr neues Konzept wird umsetzen können, ist aber ohnehin nicht klar. Gegen die Einrichtung von UMTS-Sendern auf dem Hochhaus Innerer Ring und auf dem Feuerwehrgebäude, beide fester Bestandteil der Planung, soll es inzwischen Einsprüche von Besitzern und Nachbarn geben.
Das Stadtparlament hat darüber hinaus den im Gutachten für das Stadtzentrum beabsichtigten GSM-1800-Sender „weggestimmt“. Auch der eigentlich als vorteilhaft erachtete Standort Jakobuskirche soll nach Politikerwillen keine Option mehr sein. Mit diesen Beschlüssen ist aber die technische Schlüssigkeit des gutachterlich erstellten Standortsystems durchlöchert und anzweifelbar geworden.
Hinzu kommt, dass im Dezember in der Philipp-Reis-Straße ein großer Mobilfunkmast errichtet worden ist, dessen bevorstehender Bau dem Gutachter gar nicht erst mitgeteilt worden war, weder vom Magistrat noch von Mobilfunkkritikern. Das führte zu dem kuriosen Umstand, daß das Gutachten schon bei seinem Erscheinen nicht mehr auf dem Stand der Dinge war. All dies sind keine guten Grundlagen, die Mobilfunkfirmen von dem Planungswerk zu überzeugen.
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Kommentar von Jürgen Dick:
Voll aufs Ohr
Das Bruchköbeler Mobilfunkkonzept, so wie es jetzt dasteht, ist ein Exotikum, das sich kaum irgendeine andere Kommune leistet.
Mit gutem Grund, wie sich mittlerweile herausstellt. Soll es wirklich die Zukunft der Bruchköbeler Mobilfunknutzer sein, dass ihnen ihr Handy im Schnitt mit höherer Leistung auf das Ohr strahlt als etwa in Erlensee oder Hanau?
„Bruchköbel - da will ich leben!“ - aber lieber nicht mobil telefonieren?
Als die Bruchköbeler Standortplanung entstand, hatte die Devise gegolten: Hauptsache, die Sender kommen raus aus dem Ort. Weit weg. Inzwischen wird immer klarer: es entsteht damit möglicherweise das Problem einer höheren Strahlenbelastung am Kopf des einzelnen Handynutzers. Und für immer mehr Menschen gehört der Gebrauch ihres Handy inzwischen zum Alltag. Genau aus diesem Grund distanzieren sich inzwischen sogar Teile der deutschen Mobilfunkkritiker-Szene von der einseitigen Forderung „Masten raus aus der Stadt“, und thematisieren neuerdings das Handy (und dessen Strahlung) als eigentliches Problem.
Die Bruchköbeler Mobilfunkplanung mit ihrem im Grunde schmalspurigen Ansatz könnte also schon wieder überholt sein, bevor sie überhaupt umgesetzt worden ist.
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(Artikel u. Kommentar veröffentlicht im "Bruchköbeler Kurier" v. 12.6.2008)
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Weiterführende Informationen:
Gutachten für das Landesumweltamt Bayern
Link zu einer interessanten Studie zur Minimierung von Mobilfunkbelastung auf die Bevölkerung, erstellt für das Landesumweltamt in Bayern im Jahr 2004. In dem Dokument findet sich im Kapitel
„Diskussion möglicher Minimierungsmaßnahmen“ auf Seite 154/155 die Darstellung beispielhafter Messfahrten durch Ortschaften, bei denen Sendemasten in bzw. außerhalb des Wohngebietes aufgestellt sind.
Gutachten einer Kommune benennt Grenzen
Eine aktuelle Mobilfunkstudie, die erst Anfang 2008 für die Gemeinde Velbert fertiggestellt wurde, benennt die Grenzen der Machbarkeit städtischer Mobilfunkplanung. Velbert stellt diese Studie allen Interessenten online zur Verfügung (im Gegensatz zur Stadt Bruchköbel, deren vollständiger Studientext den Bürgern aus Vertraulichkeitsgründen vorenthalten ist). Die Studie der Gemeinde Velbert könnte viele Kommunen Geld sparen helfen.
Interessant hier das Kapitel 3.3.3, wo dafür plädiert wird, den Mobiltelefonen als wesentlich stärkeren Verursachern von Strahlenbelastung die hauptsächliche Aufmerksamkeit zu schenken. Vorgeführt wird ein Faktor 5000, um den die Handystrahlung den Grenzwert stärker ausschöpft, verglichen mit einer Sendeantenne. Ist die Verbindung Handy/Funkmast gut, könne sich eine Strahlenreduzierung des Handy um den Faktor 100 ergeben. Umgekehrt steigt die Handyleistung an, wenn die Distanz zum Funkmast größer wird.
Belastung durch Handys im Vergleich zu Sendemasten
Die Daten aus diesem Vortrag zeigen auf Folie 19 den unterschiedlichen Belastungsgrad durch Handystrahlung gegenüber den Emissionen eines Funkmasts auf. Hier wird ein Faktor 1000 errechnet, um den ein 45-minütiges Handytelefonat mehr Energie in den Kopf einträgt, verglichen mit einem ganztägigen Aufenthalt in 100 m Abstand zu einem üblichen Mobilfunksendermast. Oder anders formuliert: Der Energieeintrag auf den Körper durch 45 Minuten Telefonieren mit dem Handy ist nach dieser Berechnung höher, als derjenige einer zweijährigen Exposition durch eine Basisstation in 100 m Abstand.
Mobilfunkkritiker distanzieren sich
Das bundesweit in der Anti-Mobilfunk-Szene bekannte, mobilfunkkritische „Informationszentrum gegen Mobilfunk“ wendet sich nach Jahren des Kampfes gegen Mobilfunkmasten, so wie wir ihn auch in Bruchköbel seit 2001 erlebten, von der Doktrin „Sender raus aus der Stadt“ ab. Dort argumentiert man inzwischen offen: „Nicht Masten sind das größere Problem, sondern die Handys!“
Man plädiert deshalb auch für ein bedingtes „Ja“ zu Kirchtürmen als Standorte. Grund: Die Kirchtürme ragen hoch über die Dächer der umliegenden Häuser hinaus, es wohnt niemand darin und sie ersparen überdies den Bau eines oder gar mehrerer hässlicher Mobilfunkmasten.
Handys: Warnungen
Dieser Bericht fasst den derzeitigen Erkenntnis- und Diskussionsstand zu den möglichen Einflüssen der Handystrahlung auf den Körper, insbesondere den Kopf- und Ohrenbereich, nüchtern zusammen.