Cyberkewel

Was tun, wenn das Google Street View Auto kommt?

Zuletzt zeigten sich Politiker darüber empört, dass der Internet-Suchmaschinenanbieter „Google“ jetzt doch schneller als erwartet sein „Street View“- Programm startet, also mit dem Abfilmen der Straßen unserer Städte beginnen wird.

Unsere Häuser und Wohnungen werden also bald im Internet ausgestellt. Russen, Japaner und Amerikaner werden dann jederzeit von Ferne durch unsere Hauptstraße flanieren können, um den Zustand unserer Hausfassaden zu kontrollieren. Man wird also womöglich jahrelang zur Schau gestellt, wenn man mal seine Mülltonne nicht rechtzeitig rausgestellt, die Straße nicht gekehrt oder auf dem Trottoir geparkt hat, am Ende noch entgegen der Fahrtrichtung.

Alle sollten folglich in den nächsten Monaten darauf achten, dass das eigene Haus straßenseitig schön hergerichtet ist. Unkraut auf dem Bürgersteig, herumliegende Papiertaschentücher oder etwa auch die Hinterlassenschaften mancher Vierbeiner sollten geflissentlich und zeitnah beseitigt werden.

Am besten im Stundenrhythmus. Denn schon im nächsten Moment könnte das Google-Auto mit der Kamera obendrauf um die Ecke kommen und den unschönen Anblick für das Internet, also praktisch für die Ewigkeit, filmen und abspeichern.

Ich meine sogar: Es muss im Interesse unseres Stadtmarketing sein, dass sich in so einem entscheidenden Moment jeder Winkel unseres Bruchköbel von seiner absolut besten Seite präsentiert.

Vielleicht wäre es eine Überlegung wert, dass wir für eine Zeitlang zusätzliche städtische Kehrdienste einrichten. Damit das Gesamtbild stimmt. Auch wäre nicht verkehrt, jetzt noch rechtzeitig einige Gehwege auszubessern.

Vielleicht sollte man sogar die „Operation Potemkin“ ins Leben rufen: Dort, wo Baulücken, Rohbauten, eine in die Jahre gekommene Hallenbadfront oder andere unpassende Fassaden den Blick trüben, könnte man vier Meter hohe Bretterwände aufrichten. Auf die werden große Fototapeten mit Wiesen-, Wald- und Fachwerkhausmotiven aufgezogen.

Oder man klebt große Plakate mit marketingorientierten Aussagen drauf (naheliegend: „Bruchköbel – da will ich leben!“). Oder man kann Werbeflächen aufstellen, die man wiederum an Bruchköbeler Gewerbetreibende vermietet. Oder wie wäre es mit Riesenspiegeln?

Jedenfalls sollte man „Google Street View“ nicht als Bedrohung ansehen, sondern als Gelegenheit nutzen. Heutzutage muss man einfach nach vorne denken.

Ärgernis im Cyberspace

Lokale Webseite sorgt für Unmut / von Jürgen Dick

Im Bruchköbeler Cyberspace findet seit einiger Zeit eine bizarre Konfrontation statt, die dem gewöhnlichen Zeitungsleser bislang weitgehend verborgen geblieben ist. Stein des Anstoßes ist die Internet-Webseite eines Bruchköbelers, welche unter der Adresse "www.bruchkoebler.de" hengstbissige Artikel zum Stadtgeschehen anbietet. Der Betreiber Martin R. führt dort einen als angebliches „Magazin“ aufgehübschten Weblog, ein im Internet geführtes, öffentliches Tagebuch. Weblogs haben sich in den letzten Jahren, neben den allseits bekannten Chats und Internetforen, als Trend in der Internetszene etabliert.

In R.s Kommentaren kommen örtliche Politiker wie übrigens auch der Bruchköbeler Kurier nicht gut weg. Die städtische Politik, der Bürgermeister und überhaupt alle möglichen Autoritäten werden regelmäßig spöttisch bis an die Schmerzgrenze durch den Kakao gezogen. Sein Inhalt und Stil hatten R. im vergangenen Jahr bereits innerhalb der Main-Kinzig-FWG den Vorwurf des Populismus eingebracht und zwischenzeitlich sogar zu einem Zerwürfnis innerhalb der Kreisspitze dieser Partei geführt.

Studiert man die für Internet-Verhältnisse recht ausschweifenden Beiträge auf der Webseite allerdings näher, dann begegnet dem Leser dort ein enges, im Grunde misanthropisches Weltbild. Dieses muss sich anscheinend immer wieder neu veranstalten - hier eben in der Gestalt einer schriftstellernden Brachial-Satire.

R.’s Recherchen beschränken sich in der Regel auf das mehr oder weniger genaue Studium der Ortspresse (Schwerpunkt natürlich: der Bruchköbeler Kurier, was diesen sicherlich auch irgendwie ehrt) - sowie auf das, was im Internet sonst so greifbar ist, wenn man dort den Suchbegriff „Bruchköbel“ eingibt. Und wie ja sogar ein blindes Huhn mitunter mal ein Reiskorn auffindet, so förderte auch R. in der jüngeren Vergangenheit schon mal die eine oder andere „Sensation“ zutage, wenn er etwa eine Textpassage auf der offiziellen städtischen Homepage als Kopie aus der Webseite eines Hamburger Unternehmens entlarvte, oder wenn einige Sätze aus der Neujahrsrede des CDU-Bürgermeisters als Textanleihen gebrandmarkt werden.

Bisweilen greifen die virtuellen Ereignisse aber dann doch ins reale Leben über. Dem Chefredakteur des „Bruchköbeler Kurier“, Eberhard H., ist jetzt der Kragen geplatzt. Der auf R.’s Webseite Bespöttelte griff in der letzten Ausgabe zum Mittel eines offenen Briefes, um seinerseits dem „Phantom“ hinter der seltsamen Webseite ein bisschen einzuschenken.

Und just in diesem Moment erinnert sich der Chronist an einen fast drei Jahre zurückliegenden Vorfall, welcher letztlich für die Gründung der umstrittenen Webseite ausschlaggebend gewesen sein könnte. War es doch der „Bruchköbeler Kurier“, der einst die Veröffentlichung eines bedeutungsvollen R.’schen Leserbriefes unterlassen hatte. Sind wir da also am Urgrund des Geschehens angelangt? Die Webseitengründung als Verarbeitung erlittener Schmach, als Therapie mithin? Kleine Ursache, dolle Wirkung also? Womöglich. Und die Frage, ob es sich bei dem ganzen Vorgang um einen solchen von gelebter Kleinstadtkultur in einer bislang noch nicht gekannten Dimension handelt, oder bloß um die neuartige Form einer Internet-Provinzposse, die wird wohl ohnehin jeder für sich selbst beantworten wie er will.

(ARCHIV/Artikel ersch. im „Bruchköbeler Kurier“ v. 19.1.06)

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